In dem Hause gab es immer wieder Empfänge und kleine Gesellschaften. Wenn die Tafel aufgehoben war und die Gesellschaft sich in den Salon zurück zog wurde die Aufforderung: „Fräulein Milly, singen Sie uns doch bitte etwas zur Guitarre!“ zur liebgewordenen Gewohnheit. Fräulein Milly hatte in Mannheim, über einen Kollegen ihres Vaters Möglichkeiten ins Mannheimer Nationaltheater zu kommen. Man gab „Peterchens Mondfahrt“ eine wunderschöne Geschichte um das Schicksal des geigenden Maikäfers Sumsemann. Viele Gedichte stehen darin, die alle sehr schön vertont auf der Bühne gesungen wurden. Unserer Pfälzerin rollten die Melodien wie Champagnerperlen in Herz und Seele. Mit glockenreiner Stimme sang sie alles nach. So auch an einem jener Gesellschaftsabende. Unter den Gästen saß ein, wie ihr schien älterer Herr, der ganz besonders hingebungsvoll und versunken ihren Liedern lauschte. „ Mein G’sang scheint dem alten Knopp zu gefallen“, dachte sie respektlos, denn auch in Gedanken war sie nicht auf ihren hübschen Pfälzer Mund gefallen! Man spendete Beifall - die Gesellschaft verabschiedete sich.
Am folgenden Tag führte Fräulein Milly ihre Kinderschar in den nahegelegenen Park. Während die Kleinen spielten, bat ein Herr sich zu ihr setzen zu dürfen. Es war der „ältere Herr“ vom Vorabend. Er sprach sie auf ihren Gesang an, fragte, woher sie die Lieder kenne. Fräulein ließ ihre ganze Begeisterung sprudeln. Sie erzählte von Mannheim, vom Nationaltheater, vom Schauspieler Landori, der den Sumsemann in „Peterchens Mondfahrt“ spielte. Sie erzählte die ganze Geschichte von Anfang bis Ende, sang die Lieder noch einmal an der richtigen Stelle und ihr Bewunderer hört schweigend zu. Erst als sie schließlich zu Ende erzählt, dass die Kinder des Märchens, Peterchen und Anneliese, mit dem Sumsemann wohlbehalten wieder auf die Erde zurückgekehrt waren, schaute er sie lächelnd an und sagte: „Wissen Sie, Fräulein Milly, dass ich der Autor bin? Mein Name ist Gerd von Bassewitz.“ Das hat ihr dann doch die Sprache verschlagen, sie glaubte in die Erde versinken zu müssen, wollte sich entschuldigen. Aber Herr von Bassewitz streichelte sachte ihre Hand. „ Liebes Kind, Sie glauben nicht, welch eine große Freude Sie mir gemacht haben. Ihre Begeisterung zählt für mich mehr als alle. Ich danke Ihnen für ihren Gesang am gestrigen Abend und diese Begegnung am heutigen Morgen.“
Dieses Fräulein Milly war meine Mutter und auch ich habe von ihr die ganze Geschichte und alle ihre Lieder gehört. Und deshalb lese ich sie heute besonders gerne.